Überfahrt nach China
Durch die Drei Schluchten, 1911
Entlang des Anning- und Yalong-Fluss, 1910
Reise zum Liangshan – ins Gebiet der Yi, 1913
Rückreise – Yünnanfu nach Suifu, 1917
Quelle: Bacons Large Excelsior Atlas of the World, Karte: Asia and Europe (Ausschnitt), London: Bacon, ca. 1920. Signatur der Staatsbibliothek zu Berlin: IIIC 2° Kart. B 1858.
1 Überfahrt nach China
Fritz Weiss machte auf seinen Überfahrten nach China zahlreiche Fotos; für nur wenige kann jedoch nachvollzogen werden, aus welchem Jahr sie stammen. Hier einige Erinnerungen zu seiner ersten Überfahrt nach China im Herbst/Winter 1899 von Marseille vorbei an Port Said (Ägypten), durch den Suezkanal nach Aden (Jemen), Colombo (Ceylon), Penang (Malaysia), Singapur, Hongkong mit Ziel in Shanghai.
2 Durch die Drei Schluchten – von Shanghai nach Chongqing auf dem Yangzi, 1911
Fritz und Hedwig Weiss kamen zu einer Zeit in Shanghai an, als über Unruhen – die Vorboten der 1911er Revolution – in Sichuan berichtet wurde. Trotz der Gefahr machten Sie sich nach einem Aufenthalt in Shanghai auf den Weg nach – zuerst – Chongqing und dann weiter nach Chengdu, dem Sitz des Konsulats, an dem Fritz tätig war. Der einzige Weg ins Landesinnere von Sichuan war zu der Zeit per Schiff den Yangzi hinauf. Im Herbst und Winter war der Wasserstand zu niedrig, sodass sie kein Dampfschiff nehmen konnten, sondern per traditionellem Hausboot, dessen Besatzung je nach Situation ruderte, segelte oder treidelte.
Tonaufnahmen der Gesänge der Yangzi-Treidler
Edison-Phonograph
Der Phonograph ermöglichte es, Schall aufzuzeichnen und wiederzugeben. Der Schall, gebündelt über einen Trichter, setzt eine Membran in Schwingungen. Eine an der Membran befestigte Nadel ritzt die Schallbewegungen in eine Wachswalze, die während des Aufnahmevorgangs gedreht wird.
Edison-Home-Phonograph und eine Auswahl von Walzen
Ident Nr.: MV 686 e 16/3, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ethnologisches Museum
Fotograf: Martin Franken
Fritz und Hedwig Weiss hatten zur Dokumentation ihrer Reiseeindrücke nicht nur ihre Fotokameras dabei, darunter eine Plattenkamera, die die Fotos auf Glasplatten aufnahm, sondern auch einen Edison-Phonographen zum Aufnehmen von Tondokumenten auf Wachswalzen. Diese sind im Besitz des Berliner Phonogramm-Archivs des Ethnologischen Museums. In China nahmen sie unter anderem Gesänge der Yangzi-Treidler sowie des Volkes der Yi auf. Die Yangzi-Treidler waren Kulis, die am Yangzi zwischen Yichang und Chongqing sowie stromaufwärts von Chongqing und an den Nebenflüssen die schwerfälligen Dschunken über die Stromschnellen brachten. Dazu mussten sie – je nach Situation – segeln, rudern oder die treideln, d.h. an langen Seilen vom Ufer aus die Schiffe über die Stromschnellen ziehen. Sie begleiteten ihre Arbeit mit zahlreichen Gesängen:
„Beim Überschreiten der Stromschnellen (Seitenruder)“ (Weiß Westchina, Walze 2)
Dieses Lied wurde beim Stromabwärtsrudern gesungen und spiegelt die Situation beim Überwinden der Stromschnellen wieder.
„Rufen (Locken) des Windes, Hissen der Segel“ (Weiß Westchina, Walze 4)
„Wenn die Leute wegen Windstille rudern müssen, wird der Wind durch Pfeifen usw. herbeigerufen; sobald er Wind kommt, wird das Segel gehisst. Manchmal wird durch Schlagen mit der Hand auf den Mund ein Tremolo erzeugt.“
Aufnahmen aus Sichuan, 1912. Bei den Inhaltsangaben handelt es sich um historische Angaben zu den Tonaufnahmen.
Quelle: Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ethnologisches Museum, Phonographisches Archiv. Sammlung Weiss China.
3 Entlang des Anning- und Yalong-Flusses, 31. Juli-30. Oktober 1910
Reiseroute von Fritz Weiss im Chienchang-Tal, 1910
Quelle: Petermanns Geogr. Mitteilungen, Jg. 1914, I, Tafel 39
Im Spätsommer 1910 machte Fritz Weiss eine Reise in den äußersten Südwesten der Provinz Sichuan. Seine Reise führte ihn von Chengdu entlang des Min-Flusses bis Jiating, entlang des Anning-Flusses (Chien-chang Tal) bis zur Grenze von Yunnan, wo Yangzi und Yalong zusammenfließen.
„Dem Auswärtigen Amt lag inzwischen ein Antrag von mir vor, eine ausgedehnte Reise in den Südzipfel meiner Provinz zu unternehmen, um mich auch mit den dortigen Wirtschaftsverhältnissen vertraut zu machen. […] Ganz für mich selbst hatte ich aber die verwegene Idee, bei dieser nicht wiederkehrenden Gelegenheit einen Vorstoß in das geheimnisvolle LOLOLAND coûte que coûte zu unternehmen.“
„Ich will gleich vorausschicken, dass ich meine Rechnung ohne den Wirt, in diesem Falle den mir so wohlgesinnten Generalgouverneur Chao Erh Feng [Zhao Erfeng 趙爾豐, 1845-1911] gemacht hatte. Er hatte offenbar etwas von meiner Absicht gehört, was bleibt auch in China geheim?, und strengste telegrafische Weisungen an alle Behörden längs meiner Reiseroute ergehen lassen, mich auf jede Weise an jedem Versuch, begangene und sichere Wege zu verlassen, zu hindern. […] Das sind eben die unvermeidlichen Nachteile, wenn man als Amtsperson, als fremder Konsul damals im Innern Chinas reiste, für dessen Leben die hohen Provinzgouverneure sich mitverantwortlich fühlten. […] und nun wollte ich ausgerechnet gerade auch ins Land jener von den Chinesen verächtlich als Barbaren bezeichneten gefährlichen Bergbewohner!“
(Fritz Weiss, Memoiren, 1946)
Das Chienchang-Tal
Das Chienchang-Tal (Jianchang 建昌) bezeichnet das Stromgebiet des Anning-Flusses von Lugu (瀘
4 Reise zum Liangshan – ins Gebiet der Yi (Lolos), Herbst 1913
Die „unerfreulichen Erfahrungen mit dem Widerstand chinesischer Behörden“ bei seiner Reise im Spätsommer 1910 entlang des Anning- und Yalong-Flusses, mit dem Ziel einen Abstecher ins Gebiet des Yi-Volkes zu machen, hatten Fritz Weiss gelehrt, wie er selbst in seinen Memoiren schreibt, „in der Zukunft in der Enthüllung meiner Reiseziele zurückhaltender zu sein.“ Aufgrund der „chaotischen Zustände in der Provinz“ und der „äußerste[n] Geheimhaltung meiner Pläne durch uns und unsere Leute“ gelang es Fritz und Hedwig Weiss im November 1913, dem zweiten Jahr der Republik, eine Expedition ins geheimnisvolle Land der „Lolos“, des Volkes der Yi, zu machen. „Als die Ortsbehörden endlich gemerkt hatten, um was es ging, waren wir außer ihrem Machtbereich und über alle Berge.“ (Fritz Weiss, Memoiren, 1946) Von dieser kurzen Reise zum Liangshan im November 1913, von Ebian (峨邊, O Pien Ting) nach Mabian (馬邊, Ma Pien Ting) sind insbesondere Fotos der Menschen vorhanden, Ziel dieser Reise war es ja insbesondere, die Neugier von Fritz und Hedwig Weiss zu stillen, das so unbekannte Volk der „Lolos“ kennenzulernen.
Das Volk der Yi
Das Volk der Yi (彝) ist im Südwesten Chinas u.a. in den Provinzen Sichuan und Yunnan beheimatet. Traditionell gab es in der Gesellschaft der Yi lokale Fürsten (Tusi 土司), die jeweils mehrere Clans verwalteten. Darüber hinaus war die Gesellschaft in Klassen eingeteilt. Die Tusi gehörten zur Klasse der Schwarzen Yi (Nuoho), die herrschenden Adligen. Die Weißen Yi (Qunuo/Quho) waren Vasallen und Bedienstete der Schwarzen Yi. Sie selbst konnten über die Arbeitskraft von Untergebenen verfügen und hatten teilweise auch Landbesitz. Darüber hinaus gab es weitere Klassen, die als Leibeigene der Schwarzen und Weißen Yi bezeichnet werden können, sie hatten in unterschiedlichem Maße das Recht, eigenen Besitz durch Ackerbau und Handel erwirtschaften zu können.
„Lolo“ war zu der Zeit, als Fritz und Hedwig Weiss in China waren, eine herabwürdigende Bezeichnung der Yi; in der Ausstellung wird die Verwendung der Bezeichnung „Lolo“ in den Zitaten beibehalten, um den ursprünglichen Charakter der Tagebuchaufzeichnungen nicht zu verändern.
Hedwig Weiss zum Gesellschaftssystem der „Lolos“:
„Bei den Lolos herrscht ein ausgesprochenes Feudalsystem. Es gibt Fürsten, Adlige und Hörige. Jeder Stamm wird von einem Fürsten regiert, dessen Herrschaft erblich ist, und zwar vererbt sie sich oft an den Kühnsten und Stärksten der Söhne. Doch gibt es auch Adlige, die nur über Dörfer verfügen. Die Adligen nennen sich Schwarzknochen [Heigutou 黑骨頭] zum Unterschied von den Watzes oder Hörigen. Diese setzen sich wohl größtenteils aus im Krieg gemachten Gefangenen zusammen und stellen im Gegensatz zu den Schwarzknochen längst nicht mehr so reinblütige Lolos da. Sind sie doch seit Jahrhunderten mit geraubten und zu Sklaven gemachten Chinesen vermischt. Je mehr Generationen ein Watze hat, umso höher steht auch er auf der sozialen Rangleiter des Lo[lo]landes. Wenn auch die tägliche Lebensart, Wohnung und Kleidung der Adligen sich kaum von der der Hörigen unterscheidet, so herrscht doch zwischen ihnen eine tiefe soziale Kluft.“
(Hedwig Weiss-Sonnenburg. „Von O Pien Ting nach Ma Pien Ting durchs Lololand“. Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin (1915), 73-91.)
Lieder und Gesänge der Yi
„Am Nachmittag versuchen wir ein paar Lolostimmen im Phonographen aufzunehmen. […] spät am Abend, wir sind gerade dabei, uns schlafen zu legen, kommt ein Bote ans Zelt und bittet uns, doch noch einmal zu erscheinen, die Fürstin möchte gerne die wunderbare Sing- und Sprechmaschine noch einmal hören. […] Ein junger Höriger mit einer hübschen klaren Stimme singt. Sein Repertoire übertrifft alle unsere Erwartungen. Wiegenlieder, Kampflieder, Hirtenlieder, Lieder, gesungen bei Hochzeiten und Weingelagen. Und wenn wir nach erfolgter Aufnahme den Reproduktor aufschrauben und das wohlgelungene Lied wiederholen, so strahlen alle Gesichter, und ein so herzliches Gelächter ertönt, wie ich es nie bei den Chinesen gehört habe. […] Als gar das Kampflied erklingt, da sprühen die schwarzen Augen der Lolos, und sie rufen und schreien mit. So möchte man ihnen nicht als Feinden begegnen.
Uns aber ist es, als hätten wir einen Blick in die Seele dieses merkwürdigen Stammes getan. Denn sind Lieder, von jedermann gesungen, nicht der Ausdruck der Volksseele? Wir sehen sie auf freier Alm, wie sie über Fels und Schlucht ihren Herden munter und frisch nachspringen, wir sehen sie im dunklen Schatten des Urwaldes, und die bedrückende schwüle Natur hat sich auch ihren Waldliedern, die sie beim Reisig und Wurzelsuchen singen, aufgeprägt. Wir sehen sie im steten Kampf mit dem ziegenraubenden Panther und dem Mais stehlenden Bär, und heftig und bekümmert zugleich klingen nun ihre Melodien. Wir sehen sie im Kampf, Mann gegen Mann, die Nerven bis aufs Äußerste gespannt, tierisch wild, frohlockend und anfeuernd tönen ihre Rufe. Aber auch zarte Gefühle wohnen in derselben kriegerischen Brust. Gibt es etwas Reizenderes als das zarte Abschiedslied der älteren Schwester an die jüngere, mit dem langgetragenen melancholischen Ton, oder das zarte Wiegenlied?“
(Hedwig Weiss-Sonnenburg. „Von O Pien Ting nach Ma Pien Ting durchs Lololand“. Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin (1915), 73-91.)
„Lied, gesungen beim Wurzelsuchen“ (Weiß Südchina, Walze 1)
„Der Sänger klagt über den Dieb, der mit den von ihm gesammelten Wurzeln abgezogen ist und ihm Steine in den Korb getan hat.“
„Kriegsrufe im Kampfgetümmel“ (Weiß Südchina, Walze 5)
Der Text lautet: „Zwei auf einen Schlag, haut, stecht, schießt ihn nieder. „Dum“ – der Schuß der Gewehre.“
„Hirten“ (Weiß Südchina, Walze 7)
„Der Hirte schildert der Ziege den Aufenthalt auf dem Daliangshan. Die Frische des Grases, das klare Wasser etc. …“ Das Lied ist dazu gedacht, die Ziegen anzutreiben.
Aufgenommen bei dem Stamm der Wu Pao Chia in Sichuan, November 1913. Bei den Inhaltsangaben handelt es sich um historische Angaben zu den Tonaufnahmen.
Quelle: Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ethnologisches Museum, Phonographisches Archiv. Sammlung Weiss China.
5 Rückreise über Land von Yünnan-fu (Kunming) nach Suifu am Yangzi, 21. März-19. April 1917
Reiseroute der Familie Weiss, 21. März bis 26. April 1917
Quelle Karte: Complete Atlas of China (2nd ed.), Karte: Yunnan, S.16. Specially prepared by Edward Stanford for the China Inland Mission, London: Morgan & Scott [1909]. Signatur der Staatsbibliothek zu Berlin: IIIC 4° Kart. E 934<2>. Ausschnitt mit eingezeichneter Reiseroute (gestrichelte Linie).
Mit Beginn der Beteiligung Chinas im Ersten Weltkrieges im Herbst 1917 wurden die diplomatischen Beziehungen mit dem Deutschen Reich abgebrochen. Die Weissens mussten China verlassen, dazu mussten sie erst einmal aus dem Landesinneren nach Shanghai an die Küste gelangen. Hedwig Weiss schreibt dazu in einem Reisebericht:
„Eines Tages war es nun doch soweit, und nach langem Hangen und Bangen, nach Tagen voll Fürchtens und Zweifels bekamen wir von Peking die letzte sichere Nachricht: ‚Beziehungen mit China abgebrochen.'“
„Nun trat also die schon lange geplante Reise über Land ernsthaft an uns heran und machte uns allerlei Kopfzerbrechen. Wohl hatten wir schon manche Reise ins Innere Chinas gemacht, aber nun hatten wir zwei kleine Kinder im Alter von neun Monaten und zwei Jahren, weit über dreitausend Kilometer trennten uns von Schanghai, die Reise dorthin, quer durch China, dauert sechs bis sieben Wochen!“
„Acht Tage – erst hieß es 48 Stunden – hatten wir Zeit, unsere Reise vorzubereiten, unsere ganzen Sammlungen und Einrichtungen so gut wie möglich zu verpacken; denn nur das Nötigste an Kleidern und Proviant konnte auf der beschwerlichen Überlandreise mitgenommen werden. Am 21. März war alles geordnet, und die Reise begann.“
(Hedwig Weiss-Sonnenburg. „Dreitausend Kilometer quer durch China. Erinnerungen einer Deutschen aus dem Jahr 1917“. Nord und Süd, Jg. 44 (November 1919), 173-184.)