Lianhuanhua

Chinesische Comics aus den 50er Jahren

Wer in den 1980er Jahren die VR China besuchte, wird sie vielleicht noch gesehen haben: kleine Stände am Straßenrand, oft auf Lastenrädern oder Karren angebracht, die Kindern wie Erwachsenen kleine bebilderte Hefte zum Lesen vor Ort gegen eine geringe Gebühr anboten.

Die Bezeichnung Lianhuanhua 连环画 („aufeinander folgende Bilder“) wird seit den 1920er Jahren verwendet, seit 1949 hat sie sich als feststehender Begriff durchgesetzt. Lianhuanhua haben eine eigene Tradition, die auf Buchillustrationen zurückgeht. Obwohl es eine Beeinflussung durch westliche Comics gegeben hat, war es eher eine Anreicherung, die die ursprünglichen Elemente nicht verdrängt hat.

Während der Kulturrevolution brach die Produktion fast vollständig ein, auch danach wurden zunächst nur Neuauflagen beliebter und politisch unangreifbarer Geschichten produziert. Ab den 1980er Jahren ging die Popularität der Lianhuanhua zurück. Sie versanken in der Bedeutungslosigkeit und sind seitdem nur noch als Sammlerstücke beliebt.

Informationen zur Sammlung

In den 1980er Jahren wurden aus der VR China knapp 400 Lianhuanhua erworben. Die Hefte stammen aus den Jahren 1950-1959, mit Schwerpunkt auf  1956 und 1957, sie vermitteln einen Einblick in die ersten Jahre der VR China. Eine Digitalisierung ist aufgrund von Urheberrechtsbestimmungen bisher nicht erfolgt.

Anzahl
ca. 400 Titel

Signaturen
5 A 256236 – 5 A 256645

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Stabikat

Kurze Geschichte

Entwicklung ab dem 14. Jahrhundert

Lianhuanhua wurden in China schon lange vor der Gründung der Volksrepublik als Medium der Unterhaltung und Erziehung genutzt. Als ihre Vorläufer gelten im 14. Jahrhundert gedruckte Bilderserien, die mit ihrem Begleittext eine Geschichte erzählten und der Verbreitung konfuzianistischer Moral oder religiöser Erziehung dienten. In den 1920er Jahren entstanden Geschichten mit unterschiedlichen Themen, die zunächst auf einem Einzelbogen, später dann als Heft gedruckt oder als Fortsetzung in Zeitungen erschienen. Ab den 1930er Jahren entstanden von ausländischen Comics beeinflusste chinesische Nachfolgeprodukte, die sich rasch verbreiteten. Das Zentrum der Produktion war Shanghai, wo einerseits der ausländische Einfluss und andererseits die Existenz einer Arbeiter- und Mittelschicht die Entstehung begünstigten.

Politisierung in der Republikzeit

Die Politisierung der Gesellschaft in den 1930er und 1940er Jahren spiegelt sich auch in einem um patriotische und revolutionäre Inhalte erweiterten Themenspektrum wider. Intellektuelle erkannten bereits früh die Möglichkeit, Lianhuanhua als ein Medium zur Information über politische Themen zu nutzen, und wenige, zumeist junge Zeichner in den sogenannten „befreiten Gebieten“ setzten dies um. Lianhuanhua mit politischen Inhalten blieben jedoch auch in dieser Zeit ein Randphänomen. Das Gros der Hefte bestand weiterhin aus Geister- und Schwertkämpfergeschichten. Auch Adaptionen von Volksliteratur und Opernstücken erfreuten sich großer Beliebtheit. Ihr Zeichenstil kam aus der Tradition der Buchillustrationen und Holzdrucke.

Nutzung als Erziehungs- und Propagandainstrument

Die Regierung der VR China setzte ab den 1950er Jahren Lianhuanhua zur Vermittlung von Wissen und politischen Botschaften ein, das Ziel der Kulturarbeit war die „Erziehung der Massen“.

Verbreitung

Politisch vorbildliche Lianhuanhua von staatlichen Verlagen verdrängten während der nächsten Jahre zunehmend die Lianhuanhua privater Verlage (hauptsächlich Geister- und Schwertkämpfergeschichten). Es kam zu zunehmenden Kontrollen der etablierten Vertriebswege der privaten Verlage, hauptsächlich Leihstände an den Straßen, wobei unliebsame Lianhuanhua gegen politisch korrekte ausgetauscht wurden. Der Aufbau der staatlichen Buchhandelskette Xinhua Shudian ermöglichte die Verbreitung der sogenannten fortschrittlichen Lianhuanhua. Diese informierten die Bevölkerung über Inhalte der Politik und propagierten das von der Regierung angestrebte sozialistische Menschenbild. Die Hefte sollten dabei helfen, den Aufbau des sozialistischen Systems voranzutreiben und so viele Menschen wie möglich dabei „mitzunehmen“.

Verdrängung

Gut gemachte Geschichten (Hefte mit besserer Qualität der Zeichnungen und den richtigen Inhalten) sollten politisch nicht vorbildliche Lianhuanhua mit der Zeit verdrängen, was bis 1960 gelang. Neben der Umwerbung neuer Lesergruppen gab es auch repressive Maßnahmen wie die Beschlagnahmung und Zerstörung unliebsamer Titel.

Erziehung

Das Konzept des Lianhuanhua gaizao (连环画改造), d.h. Formen etablierter Lianhuanhua in neue Lianhuanhua einzusetzen, sollte die  Nutzbarmachung des „Alten“ für das „Neue“ erreichen. Darüber hinaus ermöglichte die einfache und günstige Massenproduktion, Lianhuanhua  als Medium der Erziehung und Bildung zu nutzen. Auch der unterhaltende Aspekt war wichtig, um die Akzeptanz der dahinterstehenden Botschaften zu unterstützen. Sie propagierten Kampagnen, die in Geschichten umgesetzt wurden, z.B. „Spatzen fangen“ aus der Kampagne „Die Ausrottung der vier Plagen“ von 1958, kritisierten Praktiken der „alten Gesellschaft“ und zeigten den unermüdlichen Einsatz einzelner für den Aufbau des sozialistischen Staates.

Form und Stil

Form

Neben kurzen Einführungstexten gibt es in der Regel kurze Texte am unteren oder am äußeren Rand jeder Seite. Da das Format eher klein ist (10 x 12 cm bis 12 x 15 cm im Querformat), besteht jede Seite nur aus einem Bild. Sprechblasen werden meist sparsam, oft auch gar nicht eingesetzt. Lianhuanhua sind ihrer Form durch die Jahrzehnte treu geblieben.

Sprache

Die Schriftreform von 1955, mit der Einführung der Kurzschriftzeichen, hat sich nur zögerlich durchgesetzt. Vorherrschend ist eine Mischung aus Langschriftzeichen und damals gebräuchlichen Abkürzungen. Auch in den ab 1956 produzierten Lianhuanhua sind die neuen Regeln nicht vollständig umgesetzt.

Herstellung

Papier und Druck sind zum Teil von schlechter Qualität, der Großteil der Lianhuanhua wurde schwarz-weiß, aber mit farbigem Umschlag, produziert. Wichtige Zentren der Produktion waren Shanghai, Beijing, Tianjin und Chengdu.

Stil

Westliche Elemente, z. Bsp. perspektivisches Zeichnen, ergänzte die visuelle Tradition der 1930er Jahre, eine realistische Darstellungsart wurde zum Mainstream. Größtenteils waren die Zeichnungen mit dem Stift ausgeführt, Flächen wurden schraffiert. Doch es gab auch Hefte, die nur mit dem Pinsel gemalt waren. Fotos statt gezeichneten Bildern machten jedoch nur einen kleinen Anteil der Lianhuanhua aus.

Typische Inhalte

Märtyrer und Helden

Sie erzählen von Menschen, die durch ihr Verhalten und ihren Einsatz für das Vaterland als Vorbilder dienen. Diese leben sozialistische Ideale und werden uneingeschränkt positiv dargestellt. Hier geht es um Opfer und Märtyrer, Helden und Heldinnen, die ihr Leben für die Idee des Sozialismus und das Vaterland hingeben.


Krieg und Völkerfreundschaft

Auch Geschichten aus dem Koreakrieg und dem Krieg gegen die japanische Besatzung wurden zu Themen von Lianhuanhua. Genauso wie die Beziehungen zu nationalen Minderheiten, die Völkerfreundschaft zu anderen sozialistischen Ländern, sowie Übersetzungen von sowjetischen Geschichten.


Aufbau des Sozialismus

Die Bereiche Aufbau der Wirtschaft, Landwirtschaft und Bildung sind häufig vertreten, hier war der Bedarf an Informationsvermittlung besonders hoch. Es ging um die Präsentation von Vorbildern, idealen sozialistischen Arbeiter:innen und Bäuer:innen zum Aufbau der neuen Gesellschaft. Sie sollten die bereits erzielten Fortschritte und damit einhergehende Probleme samt Lösungen zeigen.


Foto-Lianhuanhua

Ein Spezialfall sind die 29 Foto-Lianhuanhua. Diese nutzen fotografische Darstellungen anstelle von Zeichnungen. Sie bilden, z.T. auch ausländische, Filme aus den 50er Jahren ab. Etwa zwei Drittel der Filme gehen auf europäische und sowjetische Geschichten zurück.


Literatur und Oper

Neben der sozialistischen Erziehungsliteratur gab es auch weiterhin Lianhuanhua mit klassischen Inhalten. In ihnen werden Geschichten aus der Volksliteratur erzählt und Opernstücke dargestellt.  Sie erfreuten sich großer Beliebtheit bei der Bevölkerung, was für die sozialistische Erziehung genutzt wurde. Ab 1949 machten Geschichten mit patriotischen oder revolutionären Inhalten (z.B. Shuihuzhuan 水浒传 ) den Großteil der Publikationen aus.

So entstanden z.T. umfangreiche Serien, die für viele ihrer Leser:innen die erste Begegnung mit klassischer Literatur oder chinesischer Geschichte waren. Dass vorhandener Stoff nur noch an ein neues Format angepasst werden musste,  machte Literatur-Adaptionen zu einer häufig vertretenen Form. Das galt nicht nur für Volksliteratur, auch in der VR entstandene Romane mit „modernem Inhalt“ wurden adaptiert.


Weitere Quellen