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Lexikon Japans Studierende - Beschreibung

Japans Studierende in Deutschland 1868–1914

Vorbemerkungen

Nach der Meiji ishin 1867/68 begann Japan zielstrebig, das Land zu modernisieren und entsandte zu diesem Zweck zahlreiche Untertanen zum Studium ins Ausland. Die absolute Mehrheit von ihnen kam nach Deutschland. Vor der Jahrhundertwende weilten zwischen 60 und 70 Prozent aller japanischen Auslandsstudenten hier, nach der Jahrhundertwende sogar drei Viertel.[1] Vergleichsweise gingen nach Frankreich etwa 7, nach Großbritannien und die USA etwa 11 Prozent. Zwei von drei Jahren im Ausland verbrachten japanische Wissenschaftler in Deutschland.[2] Damit hatte es einen herausragenden Anteil am japanischen Weg in die Moderne.

Das vorliegende Nachschlagewerk beinhaltet die Namen von knapp 2700 Japanern, die auf unterschiedlichen Wegen vor dem Ersten Weltkrieg über Monate bis Jahre hinweg Studien auf ihren Spezialgebieten in Deutschland verfolgten. Der Gesamtliste gingen Archivstudien voraus, die in den 1960er Jahren begannen und sich mit Unterbrechungen auf insgesamt über 40 Jahre erstreckten. [3]

Die zeitliche Eingrenzung 1868–1914 basiert darauf, dass sich 1868 der erste Japaner an einer deutschen Universität einschrieb und 1914 mit der Kriegserklärung Japans an Deutschland die letzten Studierenden wieder zurückkehrten. Erster Japaner, der im Wintersemester 1868 an der Universität Heidelberg sein Studium begann, war Komatsu Seiji­, ein von seinem Han delegierter Samurai, um Medizin zu studieren. Zwar kamen 1868 noch Aoki Shûzô­ und Hagiwara Sankei­, doch immatrikulierten sich beide erst 1870 an der Berliner Universität. Vor diesen allerdings traf bereits 1866 als erster studienwilliger Japaner überhaupt Akaboshi Kenzô­ ein, um auf Geheiß seines Daimyô Medizistudien nachzugehen. Zunächst vervollständigte er indes seine Deutschkenntnisse und nahm erst 1870 seine Studien an der Universität Heidelberg auf. Die nächste Zeit verbrachte er an der deutsch-französischen Front, um gefallene Soldaten zu sezieren. Nach seiner Rückkehr 1873 wurde er Hofarzt.

Von den 2694 in der Liste aufgeführten Japanern sind in den Verzeichnissen der Universitäten und Hochschulen 1718 erfasst[4], weitere etwa 700 absolvierten Studienaufenthalte in anderen deutschen Schulen, Instituten und Unternehmen und ca. 300 Offiziere gingen militärischen Übungen nach. Die meisten der aufgeführten Personen hatten bereits erfolgreich eine Qualifizierung an Universitäten oder Fachschulen ihres Heimatlandes absolviert, bevor sie nach Deutschland kamen. Der Terminus Studierende findet somit Anwendung im erweiterten Sinne: Er meint all diejenigen, die Wissen suchten auf unterschiedlichsten Wegen – vom Universitäts- und Fachschulstudium (knapp 80 Prozent der aufgenommenen Personen) über Praktika in Institutionen, Betrieben, Krankenhäusern etc. bis hin zu Konsultationen und Hospitationen bei Spezialisten, wie etwa die Privatverträge von Mori Rintarô­. und Kitazato Shibasaburô­ mit Professor Robert Koch. Das gilt für die Medizin ebenso wie für Ingenieur-, Rechts-, Agrar- und andere Wissenschaften, einschließlich die Aneignung militärischer Kenntnisse durch Offiziere, die sowohl an Offiziersschulen als auch durch Dienste in militärischen Einheiten ihr Wissen und ihre Fähigkeiten vervollkommneten. Berücksichtigt wurden auch Mitglieder von Studiendelegationen wie die des Kriegsministers Ôyama Iwao­ 1884/85, nicht aber diplomatischer Missionen wie die des Takeuchi Yasunori (Juni/Juli 1862 in Deutschland) oder des Iwakura Tomomi (März/April.1873 in Berlin). Keinen Eingang fanden ferner in Deutschland beruflich tätige Japaner, etwa Händler, Journalisten, Diplomaten, es sei denn, sie gingen neben ihrer beruflichen Tätigkeit ausgewiesenen Studien nach wie bei mehreren Diplomaten, darunter der spätere japanische Premier Suzuki Kantarô­.

Entsendende und unterstützende japanische Institutionen waren in erster Linie staatlicher Natur. Etwa 40 Prozent aller Studenten kamen auf Geheiß und Kosten der Ministerien, daneben gab es zahlreiche Entsendungen durch lokale Institutionen, Staatsbetriebe (namentlich die Japanische und die Südmandschurische Eisenbahn), Universitäten und Schulen sowie das Japanische Rote Kreuz. Etwa die Hälfte waren Selbstzahler.[5]

Hauptstudiengebiete

Das vorrangige Interesse galt der Medizin, die mit über 1000 Registrierungen etwa 40 Prozent der Delegierten erfasste. An zweiter Stelle folgte das Ingenieurwesen mit ca. 400 Namen in den Hauptrichtungen Hüttenkunde, Bergbau und Metallurgie (70) Elektrotechnik (41), und Maschinenbau bis hin zur Architektur. Zahlreich vertreten waren auch das Rechtswesen, die Kameralistik (einschließlich Staatswesen, Ökonomie), die Naturwissenschaft sowie die Land- und Forstwirtschaft. Insgesamt umfasste das Spektrum des Studiums mehrere Dutzend Fachgebiete.[6]

Der hohe Anteil an Delegierungen zu Medizinstudien resultiert aus dem traditionell guten Ruf der deutschen Medizin jener Jahrzehnte in Japan, der zu Ingenieurstudien ergibt sich aus der Zielstrebigkeit, Japan rasch zu modernisieren und aus der Einfuhr moderner deutscher Technik beim Aufbau einer Schwerindustrie, etwa bei der Errichtung des damals größten Stahlwerkes Yawata Seitetsujo[7]. Der hohe Anteil an Jurastudien wiederum resultiert unter anderem aus der Übertragung der preußischen Verfassung und des deutschen Zivilrechts auf japanische Verhältnisse.[8]

Hauptquellen waren die Immatrikulationsverzeichnisse aller damals existierenden deutschen Universitäten und Hochschulen, Akten des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, Akten des Bundesarchivs in Lichterfelde/Berlin sowie bereits publizierte Spezialstudien, darunter neben eigenen namentlich die Studie von Michael Rauck Japanese in the German Language and Cultural Area. 1865–1914[9].

Die Zahl derer, die sich zu Studienzwecken in Deutschland aufhielten und in der Studie erfasst wurden ist beträchtlich. Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass nicht alle ermittelt werden konnten. Das zeigt sich u.a. etwa in folgendem Detail: 1886 meldete der deutsche Gesandte von Holleben die Ankunft des Richters Matsuoka Yasutake­, der „von 14 jungen Juristen begleitet“ werde. Doch wer diese 14 sind ist in den Akten nicht vermerkt und an den Universitäten sind 1886 nur sechs Japaner im Sommersemester und fünf im Wintersemester gemeldet, mehrere sogar doppelt. Die meisten der „14 jungen Juristen“ tauchen somit in den Akten gar nicht auf und konnten auch hier nicht geführt werden.

Rolle des Militärs

Unter den Studierenden befanden sich sieben Prinzen aus den kaiserlichen Nebenfamilien, von denen sechs militärischen Studien nachgingen. Darin zeigt sich anschaulich die enge Verbundenheit zwischen Kaiserfamilie und Militär, dessen oberster Befehlshaber seit den achtziger Jahren der Tennô war. Eine Ausnahme machte Prinz Konoe Atsumaro­, Vater des späteren Ministerpräsidenten Konoe Fumimaro (1937–1939 und 1940–1941), der Rechtsstudien verfolgte.

Überhaupt entsandte das Militär das zweitgrößte Kontingent, das auf Staatskosten in Deutschland studierte. Ihr vorrangiges Ziel bestand sicher darin, Wissen und Erfahrungen zu sammeln, um eine schlagkräftige moderne Streitmacht aufzubauen, deren Aufgabe bis 1945 darin bestand, die Sicherung der Vormachtstellung des Landes in Asien zu gewährleisten. Die Siege im Japanisch-Chinesischen (1894/95) und im Russisch-Japanischen Krieg (1904/05) zeigten die ersten großen Erfolge. Die Entwicklung des damit einhergehenden Militarismus im Lande ist bekannt. Dennoch darf man nicht übersehen, dass die zahlreichen Ingenieur-, Medizin- und Justizausbildungen, unternommen im Auftrage des Heeres- oder Marineministeriums, objektiv ebenfalls einen bedeutenden Einfluss auf die Modernisierung des Landes hatten und damit auch positive Aspekte zeitigten. Man denke allein an die Entwicklung der Luftfahrt, deren Anfänge über die Streitkräfte führten, oder an die für die Rüstungs- aber auch andere Industrien sehr wichtige Schwer-, insbesondere die Stahlindustrie. Oder aber an die Hygiene auf medizinischem Gebiet. Viele der Ingenieure sammelten Kenntnisse und Erfahrungen in der Waffenschmiede Krupp. Erfasst wurden in der Liste über 40 Personen, die ihr ingenieurtechnisches Wissen in den Krupp-Werken vervollkommneten.

Aufgelistet sind auch alle in Deutschland bis 1916 gefertigten Dissertationen von Japanern, von denen es zwischen 1874 und 1916 insgesamt 405 erfolgreiche Verteidigungen gab. In der Rangfolge dominierte eindeutig der Dr. med. mit 325 vor dem Dr. phil. mit 47 und dem Dr.jur. mit 22 Titeln.

Persönlichkeiten

Unter den Studierenden befanden sich viele Modernisierer und Reformer, die wesentlich dazu beitrugen, dass Japan innerhalb weniger Jahrzehnte zur asiatischen Großmacht aufstieg. Zu ihnen zählten sowohl zahlreiche Politiker als auch bedeutende Wissenschaftler auf den verschiedensten Gebieten der Medizin, dem Ingenieurwesen, der Justiz, den Naturwissenschaften etc., die Japans Entwicklung wesentlich beeinflussten. Genannt sind in der Liste allein 61 Kabinettsmitglieder, darunter sieben Ministerpräsidenten. Hinzu kommen hunderte Abgeordnete des Shûgiin; des Kizokuin oder des Sangiin. Genannt sind über 100 Präsidenten und Rektoren von Universitäten, Hoch- und Fachschulen. Auf militärischem Gebiet sind u.a. knapp 200 Generäle und Admiräle[10] erfasst, davon waren 22 Minister. Vertreten sind ferner alte, geschichtsträchtige Adels- resp. Daimyô-Geschlechter wie Nabeshima, Matsudaira, Fujiwara, Maeda oder Tokugawa. Mit Maeda Toshinari­ studierte sogar das Oberhaupt eines ehemaligen und derzeit noch immer einflussreichen Daimyô-Geschlechts. Tokugawa Yoshitoshi­, Nachkomme der letzten Shôgun-Dynastie, erwarb Verdienste als Flugpionier.

Die Publikationsangaben der Studierenden sollen lediglich zusätzliche Hinweise zur näheren Charakterisierung des jeweiligen Autors geben. Auf Jahreszahlen der Publikationen wird in der Regel verzichtet, sie sind aber dann vermerkt, wenn sie helfen, bestimmte Ereignisse oder Fakten, über die berichtet wird, näher zu bestimmen bzw. einzuordnen.

Die angegebenen Aufenthaltszeiten in Deutschland sind vielfach Daten des Reisebeginns und –endes.

Die Geburtsdaten vor 1873 entsprechen nicht immer dem Gegorianischen Kalender, zumal dann, wenn den Quellen nicht eindeutig zu entnehmen war, ob die Geburtsdaten vor dem 1.1.1873 nach dem lunisolaren Zeitsystem angegeben oder bereits in den Gregorianischen Kalender umgerechnet waren.

Mein besonderer Dank gilt der Unterstützung des Fördervereins JaDe e.V. Köln, der die Publikation des Lexikons als Datenbank aktiv unterstützte. Herzlich danken möchte ich für zahlreiche gute Hinweise und Hilfen dem Leiter des Japanzentrums der Humboldt-Universität Berlin, Professor Dr. Klaus Kracht, sowie Dr. Andrea Greiner-Petter. Mein Dank gilt auch Frau Beate Wonde von der Mori-Ôgai-Gedenkstätte der Humboldt-Universität für ihr stetes Interesse und ihre konstruktiven Hinweise. Nicht zuletzt aber danke ich meiner Frau Hannelore, die meine Arbeit all die Jahre hinweg aktiv begleitete.

Der Autor

Dr. sc. phil. Rudolf Hartmann
Geboren 1937, Diplom-Japanologe. 1962 bis 1990 tätig an der Akademie der Wissenschaften in Berlin, Institut für Orientforschung, Zentralinstitut für Deutsche Geschichte und Institut für Allgemeine Geschichte. 1975 bis 1978 Sekretär der Botschaft der DDR in Tôkyô. 1990–1993 freier wissenschaftlicher Mitarbeiter der KAI. 1993 bis 1994 Vertretung des Lehrstuhls für Geschichte Japans an der Ruhr-Universität Bochum. 1994 bis 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Sprache und Kultur Japans der Humboldt-Universität zu Berlin. 1997 bis 1998 Vertretung des japanologischen Lehrstuhls an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.

Wichtige Publikationen

  • - Zusammen mit W. Wernecke. Japanisch–Deutsches Zeichenlexikon. Leipzig, 1977 (5. Aufl. 1994).
  • - Japan. Gesellschaft, Politik, Wirtschaft. Köln, 1983.
  • - Japan haute. Wirtschaft – Klassenkampf – Politik. Akademie Verlag Berlin, 1984.
  • - Geschichte des modernen Japan: Von Meiji bis Heisei. Berlin, 1996.
  • - Japanische Studenten an deutschen Universitäten und Hochschulen. 1868–1914 Berlin 2005





[1] James R. Bartholomew: The Formation of Science in Japan. New Haven and London 1989; p. 71

[2] Ebenda, S. 199

[3] Erste Ergebnisse wurden publiziert in Rudolf HARTMANN: Einige Aspekte des geistig-politischen Einflusses Deutschlands auf Japan vor der Jahrhundertwende. Mitteilungen des Instituts für Orientforschung, Bd. XII; Heft.4, 1966; S.463ff.

[4] Siehe auch Rudolf Hartmann: Japanische Studenten an deutschen Universitäten und Hochschulen 1868–1914.

[5] siehe Tabelle 2.

[6] Näheres unter Tabelle 1

[7] Das Werk wurde in Nordkyûshû errichtet und begann 1901 mit der Produktion. Auf Anhieb hatte es einen Anteil von 70–80 Prozent der Stahlproduktion des Landes. Schmelzöfen und andere Technik kamen aus Deutschland.

[8] Otto Schmiedel, von 1887–1892 als Theologieprofessor in Japan, schrieb 1919: Man kann “ohne Übertreibung sagen, daß auf der ganzen langen Inselkette … deutsches Zivilrecht gilt“. Schmiedel: Die Deutschen in Japan. o.O. und J. S. 122.

[9] siehe auch unter Literaturverzeichnis.

[10] Erfasst sind 46 Generäle und 10 Admiräle, 78 Generalleutnants, 35 Generalmajore, 16 Vize- und 13 Konteradmiräle, gesamt 198.

 

Last Update: 13.09.2010 lhInternet Service
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